Demo: NATO-Atomkriegsmanöver 2024 stoppen!

Dr. Uwe Trieschmann – IPPNW

Redebeitrag für die Demonstration „NATO-Atomkriegsmanöver stoppen “ in Nörvenich am 12.10.2024

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

Liebe Demonstrationsteilnehmerinnen, liebe Demonstrationsteilnehmer,

ich spreche hier als Vertreter der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW.

IPPNW heißt „International Physicians for the Prevention of Nuclear War” oder auf deutsch: Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges.

IPPNW wurde in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts gegründet und bekam im Jahr 1985 sogar den Friedensnobelpreis. Das war damals die Zeit des kalten Krieges und der Aufrüstung, als schon einmal Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert wurden. Und genau da stehen wir heute wieder.

Wir stehen hier in Nörvenich, von wo aus die Bundeswehr sich an dem NATO-Atomwaffen-Manöver Steadfast Noon beteiligt.

Dieses Manöver bedeutet, dass täglich Flugzeuge bis an die russische Grenze fliegen – heute noch mit Attrappen, im Ernstfall mit scharfen Waffen und ggf. auch mit Atomwaffen bestückt.

Und wie nah wir uns an der Grenze zu einer ggf. auch unkontrollierten Eskalation befinden, macht folgendes klar: Aktuell ist Nörvenich der Ausweichstandort, weil Büchel modernisiert und aufgerüstet wird. Aber Nörvenich alleine reicht anscheinend nicht. Auch in Büchel selbst gibt es noch eine Not-Lande- und Startbahn. Wenn man das für nötig hält, wird offensichtlich, wie nah wir schon an einer gefährlichen Eskalation sind.

Wir Ärztinnen und Ärzte sind in großer Sorge, weil Bundeskanzler Scholz angekündigt hat, dass ab 2026 US-Marschflugkörper, Hyperschallwaffen und Raketen in Deutschland stationiert werden sollen.

Nach Kündigung des INF-Vertrages vor 5 Jahren sollen damit erstmals seit 1991 wieder Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden stationiert werden, die Ziele weit in Russland treffen könnten. Damit soll angeblich die sogenannte „Fähigkeitslücke“ des Westens geschlossen werden. Diese Argumentation ist absolut unglaubwürdig, da zahlreiche NATO-Staaten über see-und luftgestützte Waffen mit einer Reichweite weit über Moskau hinaus bereits verfügen und die NATO-Streitkräfte den Russischen Streitkräften qualitativ und quantitativ weit überlegen sind. Das hat nichts mit einem strategischen Gleichgewicht zu tun, vielmehr eignen sich diese landgestützten Waffen für Angriffe mit extremkurzer Vorwarnzeit.

Die Stationierung dieser fortentwickelten konventionellen Waffen führt unweigerlich zu einer weiteren Rüstungseskalation mit konventionellen und mit atomaren Waffen.

Russland droht mit Atomwaffen. Die Ukraine greift russische Frühwarnsysteme an. Auf solche Angriffe behält sich Moskau nukleare Reaktionen vor. Damit wächst die Gefahr eines Atomkrieges. Bereits die Ankündigung der Stationierung und die zunehmende Militärrhetorik verschärfen einen neuen Rüstungswettlauf, der in einer Katastrophe enden könnte. Ich will an dieser Stelle gar nicht auf die künstliche Intelligenz eingehen, es macht mir aber größte Sorgen, dass mit dem Einsatz von KI die Entwicklung erst recht unkontrollierbar wird.

Wir müssen uns klar machen, was die Ankündigung der Stationierung von Mittelstreckenraketen bedeutet:

Diese Vereinbarung zwischen den USA und Deutschland wurde am Rande des NATO-Gipfels beschlossen. Die Eintragung bei Wikipedia spricht Bände; ich zitiere:

„Beim NATO-Gipfel 2024 in Washington wurde verkündet, dass die Streitkräfte der Vereinigten Staaten beabsichtigen, ab 2026 Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren.“

Das macht klar wer hier entscheidet.

Die Zustimmung von Olaf Scholz hat noch eine weitere Dimension:

Die Demokratie wird ausgeschaltet und Deutschland hat nichts zu entscheiden.

Der NATO-Doppelbeschluss in den 80er Jahren ging noch durch den Bundestag. Und es war damals ein Doppelbeschluss, d.h. er war sogar mit Abrüstungsinitiativen verbunden.

UND HEUTE?

die Vereinbarung zur Stationierung der Mittelstreckenraketen wurde zwischen Scholz und Biden unter Umgehung des Bundestages beschlossen.

Und wenn wir nach Ramstein sehen, wo ursprünglich heute US-Präsident Biden auf deutschem Boden den Bundeskanzler einlädt, macht schon deutlich, in welch prekärer Situation wir sind. Und wer hier auf deutschem Boden entscheidet.

Als IPPNW wenden wir uns ganz klar gegen diese Aushebelung der Demokratie !

Diese Mittelstreckenraketen sollen zunächst nicht mit Atomsprengköpfen bestückt werden. Noch tragen die Tomahawk-Marschflugkörper konventionelle Gefechtsköpfe, sie können jedoch auch mit atomaren Sprengköpfen ausgestattet werden.

UND: schon ihre konventionellen Gefechtskörper können aufgrund modernster Technik präzise und mit hoher Sprengkraft ihre Ziele weit in Russland treffen.

Raketenstützpunkte sind aber umgekehrt auch wie Magnete – sie ziehen Angriffe an, sie machen Deutschland zu einem strategischen Angriffsziel. Wie das funktioniert, sehen wir ja gerade im Krieg in der Ukraine: Selensky argumentiert immer. er wolle weitreichende Waffen, um Raketenbasen in Russland zu beschießen. Genau das könnte bei einer Eskalation des Krieges umgekehrt die Bevölkerung im Rheinland treffen.

Aus all diesen Gründen sagen wir ganz klar: Nein zur Stationierung der Mittelstreckenrakten !

Wie sieht es heute mit Abrüstungsinitiativen aus?

Leider ist diese Frage schnell beantwortet – es sind keine in Sicht, im Gegenteil:

Der Ukrainekrieg ist auch jetzt schon ein Krieg zwischen NATO und Russland, und das ist brandgefährlich! Statt US-Raketen in Deutschland zu stationieren, fordern wir, dass sich die Bundesregierung verstärkt für die Wiederaufnahme von Abrüstungsverhandlungen einsetzt!

Gibt es Alternativen?

Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag ist ein internationales Abkommen, das u.a. Einsatz, Stationierung und Herstellung von Atomwaffen verbietet. Der Vertrag wurde 2017 von 122 Ländern beschlossen und wurde mittlerweile von 73 Staaten ratifiziert.

ABER: Deutschland ist bisher nicht dabei.

Marian Losse von der Friedensnobelpreisorganisation ICAN Deutschland sagt: „Knapp die Hälfte der Weltgemeinschaft hält mit dem Atomwaffenverbotsvertrag fest, dass die Idee der nuklearen Abschreckung inakzeptabel ist. Der durch die Bundesregierung veranlasste Kauf der F-35 und die technische Aufrüstung der in Büchel lagernden US-Atomwaffen stehen im eklatanten Widerspruch zu jeglicher Abrüstungsdiplomatie.“

Deshalb sagen wir als IPPNW:

  • Deutschland darf bei der nuklearen Abrüstung kein Zaungast bleiben !
  • Deutschland muss den Weg bereiten für den Ausstieg aus der atomaren Abschreckungsdoktrin und das Völkerrecht vor NATO-Verpflichtungen stellen.

Es gibt noch weitere gründe, warum Verhandlungen für Waffenstillstand und Frieden so wichtig für uns sind.

Die gegenwärtige Aufrüstungswelle in Deutschland und Europa stiehlt uns die finanziellen Ressourcen, die wir für die Erneuerung von Infrastruktur benötigen, im Bereich Gesundheitswesen, Schulen, Universitäten, Verkehr, Migration und Integration, für die Energiewende und die Klimawende. Kurz gesagt die sozial-ökologische Wende.

Wir brauchen Friedensfähigkeit statt Kriegstauglichkeit !

Ich möchte DIE Gefahren der gegenwärtigen Militarisierung am Beispiel des Gesundheitswesens deutlich machen.

Beginnen wir mit Verteidigungsminister Pistorius, der fordert, dass die deutsche Bevölkerung kriegstüchtig werden müsse. Nicht nur die Truppen selbst sind gemeint. Gleichlautend sagen Pistorius und Gesundheitsminister Lauterbach: Auch das Gesundheitssystem müsse für den NATO-Bündnisfall adäquat ausgestattet werden. Deshalb müsse man sich auf die zivil-militärischen Landesverteidigung und auf den NATO-Bündnisfall vorbereiten.1

Welche Herausforderungen da auf Deutschland zukommen, wurde auf dem Deutschen Chirurgie-Kongress in Leipzig (April 2024) diskutiert. Sollten die NATO-Mitglieder im Ukrainekrieg eingreifen müssen, rechnet das theoretische Szenario damit, dass 1.000 Verletzte pro Tag versorgt werden müssten. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), Dietmar Pennig, glaubt, dass derzeit die Bettenkapazität der Militärkrankenhäuser innerhalb von 48 Stunden ausgeschöpft wäre. Innerhalb von zwei Tagen müssten verletzte Soldaten also auch in zivilen Krankenhäusern und Kliniken behandelt werden.

Gesundheitsminister Lauterbach sieht Deutschland als Drehscheibe für deutsche und alliierte Soldaten in einem solchen Fall. Norbert Weller, Generalstabsarzt der Bundeswehr, sagt, man stehe auch hier vor einer Zeitenwende, denn die europäischen Gesundheitssysteme hätten sich in den letzten 30 Jahren nicht mit der Versorgung mehrerer hundert Kriegsverletzter pro Tag beschäftigt.2 Wenn ein solches Szenario Wirklichkeit wird, erfordert es eine Triage. Das bedeutet, angesichts knapper medizinischer Ressourcen müssen die „wichtigsten“ Patienten ausgewählt werden. In Kriegszeiten haben militärische Bedürfnisse immer Vorrang. Also werden zivile Patienten wahrscheinlich hinter militärischen Patienten zurückstehen müssen. Ihre Krankheiten könnten dann u.U. erst später behandelt werden.

Gesundheitsminister Lauterbach hat für dieses Jahres schon das neue Gesundheits­sicherstellungs­gesetz angekündigt, die Zeitenwende im Gesundheitswesen.

Machen wir uns klar: Die Militarisierung des Gesundheitswesens ist eine unabdingbare Voraussetzung jeglicher Kriegsführung, insbesondere in einem so dicht besiedelten Gebiet wie Deutschland. Das wird unsere Versorgungsstrukturen verändern, im Zweifelsfall zu Ungunsten der allgemeinen Versorgungsqualität. Krieg wird durch die ständige Vorbereitung und das darüber Reden zum “Normalfall des Lebens“

Als IPPNW wollen den Widerstand gegen diese Militarisierung im Gesundheitswesen zusammen mit anderen aufbauen.

Ich möchte zurückkommen zu den atomaren Risiken, die uns schon durch den laufenden Ukraine krieg drohen:

Auch wenn im Ukrainekrieg zurzeit noch der zermürbende Stellungskrieg mit konventionellen Waffen im Vordergrund steht. Mit jeder neuen Eskalationsstufe dieses Krieges wächst die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung.

Und auch die Kampfhandlungen um die AKW’s Saporischia und Kursk bergen die Gefahr einer Nuklearkatastrophe mit ähnlichen katastrophalen Folgen wie Tschernobyl 1986.

Deshalb mahnt IPPNW „Wir werden Euch im Falle eines Atomkrieges oder Atomunfalls nicht helfen können“.

Die Forderung, laufende Kriege wie den Ukrainekrieg und alle anderen Kriege mit Verhandlungen zu beenden, ist somit ein Pfeiler unseres Protestes.

… und auch wenn der Krieg im Nahen Ost hier nicht das Thema ist, möchte ich betonen, dass auch der Nah-Ost-Konflikt ein hohes Eskalationspotential bietet; ich möchte nur daran erinnern, dass Trump schon einen Angriff auf iranische Atomanlagen gefordert hat. – ein unvorstellbares Eskalationsszenario!

Aus all diesen Gründen fordert IPPNW Deutschland:

  • Verzicht auf die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland
  • Initiativen für einen Nachfolgevertrag zum INF-Vertrag, um den Rüstungswettlauf bei weitreichenden Waffensystemen zu stoppen.
  • Beitritt zum Atomwaffenverbotsvetrag
  • einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine
  • Für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza und Libanon und Anerkennung Palästinas durch die Bundesregierung (wie es Spanien, Irland, Malta, Norwegen, Slowenien und andere Länder gemacht haben), was eine Voraussetzung für einen Frieden in Nahost ist
  • Mut zu diplomatischen Verhandlungen statt weiterer Eskalation durch Waffenlieferungen an Konfliktparteien.

Vielen Dank.

Dr. med. Uwe Trieschmann ist aktiv bei der IPPNW Regionalgruppe Köln.

Anmerkungen: